Auch am Morgen danach war sie fassungslos. "Heute bin ich als Major-Champion aufgewacht", übermittelte Sophia Popov bei Instagram. "Ich kann immer noch nicht begreifen, was gestern passiert ist", gab sie zu: "Eine einzige Woche hat mein Leben komplett auf den Kopf gestellt." Und das "auf eine gute Weise", wie sie zur Sicherheit anmerkte. Dazu postete sie ein Foto, auf dem sie selbst zu sehen war. Strahlend. Stolz. Mit einem kelchartigen Pokal in den Händen.
In ihrem kleinen Online-Bericht am Montag dankte sie allen, die ihr "auf verschiedenen Kanälen" Botschaften zukommen ließen. Sie könne nicht sofort antworten, was einleuchtete: Die halbe Golfwelt verneigte sich vor dieser Deutschen, die vor dieser besagten Woche die Nummer 304 der Weltrangliste war; die zu Beginn ihrer Profikarriere jahrelange körperliche Probleme hatte; die kürzlich noch als Caddy bei einer befreundeten Profi-Kollegin aushalf und nah dran war, tatsächlich ganz aufzuhören mit ihrem Sport, mit dem sie im Alter von fünf Jahren begonnen und der sie bis in die USA geführt hatte, auf die LPGA Tour.
Und nun also ist Popov, 27, in der Nähe von Boston geboren, in Weingarten aufgewachsen, Major-Siegerin. Die erste im deutschen Golf. Bei den Männern hatten es bislang vier deutsche Triumphe gegeben, je zwei von Bernhard Langer und Martin Kaymer, der ihr via Internet gratulierte.
Tränen schossen aus Popov hervor, kaum dass sie am Sonntagabend im schottischen Royal Troon Golf Club an der Südwestküste den letzten Putt gelocht hatte. Mit 277 Schlägen (70+72+67+68) distanzierte sie Jasmine Suwannapura aus Thailand (279/71+72+69+67) auf Rang zwei. Im vergangenen Jahr war die Geschichte der Gewinnerin bereits speziell gewesen. Bei ihrem allerersten Turnier außerhalb ihrer Heimat überrumpelte die 20 Jahre alte Japanerin Hinako Shibuno die komplette Konkurrenz.
"Smiling Cinderella" wurde sie genannt, weil sie so viel lachte. Popovs größten Erfolg, der ihr mit dem Siegerpreisgeld in Höhe von 675 000 Dollar das Sechsfache ihres Karriere-Verdienstes einbrachte, charakterisierte Ex-Ryder-Cup-Spieler Luke Donald nunmehr als "wunderbare Geschichte über Durchhaltevermögen und Entschlossenheit". Es ist eine andere, noch beeindruckendere Geschichte.
Drei quälende Jahre
Popov selbst war es, die nochmals an die größten Hürden erinnerte, die sie bis zu diesem schicksalhaften Sonntag im August 2020 zu überwinden hatte. Sie wollte auch ein bisschen erklären, warum sie im Moment, als der Sieg feststand, kurz "zusammenbrach". Popov, das zeichnete sich früh ab, war eines der größten Talente im deutschen Golf, sie durchlief mehrere Kader beim DGV. Ihr Weg verlief geradlinig nach oben, auch als College-Spielerin an der University of Southern California in Los Angeles, wo sie Kommunikationswissenschaft studierte, glänzte sie im Team.
Auf Anhieb holte sie 2014, mit 21, auf den Qualifying Schools, mehrtägigen, zermürbenden Qualifikationsturnieren, die Spielberechtigungen für die LPGA Tour und die Ladies European Tour. Natürlich zog sie Amerika vor, die LPGA Tour ist die finanzstärkste und ruhmreichste, wie die PGA Tour bei den Männern. Doch just als Popov durchzustarten glaubte, folgten quälende Jahre, in denen sie weder eigene noch öffentliche Erwartungen erfüllen konnte.
Tatsächlich hat Popov erst jetzt, am Sonntag, erstmals erklärt, dass sie damals eine Odyssee an Arztbesuchen zu absolvieren hatte, rund 20 in drei Jahren, ehe überhaupt festgestellt wurde, warum sie dauernd müde war und andere Symptome auftraten. Letztlich fand man heraus, dass sie an Lyme-Borreliose litt, einer durch Zecken übertragenen Krankheit. Rund zwölf Kilo verlor sie. Bis heute hält sie sich an einen klaren Ernährungs- und Fitnessplan. Spielerisch musste sie in der Folge Rückschläge hinnehmen, sie verlor die Tourkarte, und besonders bitter war es bei der vergangenen Qualifying School, als sie um einen Schlag die Rückkehr auf die LPGA Tour verpasste. "Ich hätte letztes Jahr fast aufgehört zu spielen", gab Popov nun zu: "Gott sei Dank habe ich es nicht getan."
August 24, 2020 at 11:58PM
https://ift.tt/3aU8Cm4
Nummer 304 schreibt Golf-Geschichte - Süddeutsche Zeitung
https://ift.tt/38tifGP
Golf
Bagikan Berita Ini
0 Response to "Nummer 304 schreibt Golf-Geschichte - Süddeutsche Zeitung"
Post a Comment